Er muss einmal am Tag auf dem Brett stehen
München, 21.11.2013 (Inga Kjer/dpa) – Unter den Surfern an der Eisbach-Welle gilt Daniel Osswald als Urgestein. Mit zwei Brettern unterm Arm geht es für den 45-Jährigen zum Wellenreiten – wie jeden Tag. Seine Wohnung steht voller Surfbretter, auf dem Balkon trocknen die Neoprenanzüge. Mit 14 Jahren entdeckte Osswald das Surfen für sich. „Ich war einmal mit meinen Eltern am Meer und hab’ Wellenreiter gesehen. Da wusste ich, was ich will.“
Von den anderen Surfern wird er „der Meister“ genannt. Er ist ruhig und zurückhaltend, wirkt nachdenklich und bestimmt. Und der 45-Jährige hat immer alles Nötige dabei und steht den anderen mit Rat und Tat zur Seite. Sein Geld verdient Osswald im Büro einer Möbeldesignfirma auf Stundenbasis. So kann er seinen Tag frei einteilen und findet genug Zeit für seine Leidenschaft. „Das gewöhnliche Leben ist nichts für mich. So jeden Tag im Büro.“ Auch das Familienleben ist auf Daniels Hobby abgestimmt. Seine Tochter mag keine Sonne, keinen Strand, Wasser auch nicht besonders und außerdem hat sie eine Fischphobie. Seine Frau ist auch kein Strandtyp.
Osswald dagegen sagt: „Ich kann den ganzen Tag dasitzen und die Wellen anschauen, ununterbrochen, stundenlang.“ Anfangs versuchte er mit einem Windsurfbrett, die Wellen zu reiten – was aber nur bedingt klappte. Mit 17 kaufte er mit Freunden in München von französischen Surfern die ersten Bretter. Zu dieser Zeit gab es dort noch keine Surfläden und das Surfen war auch viel improvisierter. Es waren nicht mehr als vielleicht 30 oder 40 Leute am Eisbach.
Heute sind es um die 1000 „Bachrutscher“, schätzt Osswald. Es ist voll geworden – zu voll. Die Touristen, die sich oben an der Brücke zum Schauen versammeln und sogar direkt am Wasserrand stehen, gehen den Surfern gehörig auf die Nerven. „Dauernd angeglotzt zu werden wie ein Zootier ist auch nicht lustig“, sagt Osswald. Am Eisbach trifft er immer seine „Crew“, die sich augenzwinkernd „The most hated“ (die Meistgehassten) nennt und aus etwa 15 Surfern besteht. Sie haben sich Aufkleber gedruckt und auf ihre Bretter geklebt. Auch ihren Platz auf dem Parkplatz haben sie markiert. Mit Wachs für die Bretter, das die Standfestigkeit verbessert, träufelten sie den Crewnamen auf einen Stein.
Die Möglichkeit, mitten in der Stadt zu surfen, ist einmalig. „Die Welle und die Surfer sind eine Touristenattraktion“, heißt’s bei der Stadt. Im Mai wurde die Eisbachwelle vom Freistaat der Stadt zugesprochen und somit die Rahmenbedingungen für „legales Surfen“ geschaffen. Auch die Polizei mag die Sportler. „Die Eisbachsurfer sind für uns unproblematisch“, sagt ein Sprecher. Nennenswerte Unfälle seien ihm nicht bekannt, obwohl der flache Eisbach mit seinen Steinen ein gefährliches Gewässer ist. „Wenn es dich auf die Pflastersteine drischt, kannst du auch sterben. Du musst also immer versuchen, an der Oberfläche zu bleiben“, sagt Osswald.
Es ist die Gefahr und der Platzmangel, warum Neulinge von ihm rigoros weggeschickt werden, sollten sie dem Anspruch der Welle nicht genügen. Es ist eine strenge Hierarchie: Zuerst kommen die Einheimischen, dann die guten Surfer – dann der Rest. Ein Leben ohne Eisbach ist für Daniel undenkbar. „Ich will halt einmal am Tag auf diesem Brett stehen. Fertig. Sonst bin ich unglücklich.“