Was macht eigentlich ein Meteorologe beim Militär?
Niederstetten, 19.07.2016 (Inga Kjer/dpa) – Die Sonne geht gerade auf, da prüft Martin Oberndörfer schon mit einem ersten Blick, ob das Wetter einen entspannten oder stressigen Arbeitstag erwarten lässt. Blitzeblauer Himmel. Und warm ist es – es könnten optimale Flugbedingungen werden auf dem Heeresflugplatz der Bundeswehr in Niederstetten. Nahe einem der letzten Weinberge im Nordosten Baden-Württembergs und ländlicher Bauernidylle üben hier rund 1000 Piloten, Fluglotsen und andere Soldaten den Ernstfall für Helikoptereinsätze in aller Welt. In der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt: Meteorologen wie Oberndörfer spielen eine zentrale Rolle bei allen Flügen der Bundeswehr.
Der 48-Jährige und seine Kollegen beobachten das Wetter rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Oberndörfer sitzt schon um 5 Uhr zwischen Wandkarten und schwarzen Monitoren in der Wetterberatung. Jeder Pilot muss sich vor seinem Flugantritt eine professionelle Vorhersage geben lassen. Egal ob für Übungsflüge über die Felder und Dörfer oder im Tornadoeinsatz wie im türkischen Incirlik – unerwartete Schlechtwetterfronten können böse Überraschungen in der Luft bringen.
Extra früh ist der Pilot Björn Blotenberg in Oberndörfers Wetterberatung gekommen. Er will mit seinem Helikopter Ersatzteile zu einem anderen Standort transportieren. In Uniform steht Blotenberg am Wettertresen. Hinter ihm hängen Vorhersagekarten für die nächsten Tage an der Wand, daneben sitzt ein großer, grüner Wetterfrosch, ein symbolisches Kunststofftier. Der Meteorologe in Zivil muss gar nicht viel sagen. Das Hoch soll halten. Nach der Beratung entscheiden die Piloten selbst – heute ist der Fall klar: Blotenberg kann Flugweste und Helm holen, seinen Hubschrauber auftanken lassen und noch am frühen Morgen starten.
Die Basis von Oberndörfers Beratung sind Daten des Deutschen Wetterdienstes aufgrund von Luftdruck, -feuchtigkeit und Temperatur. Sie sind in einem Kartenausschnitt als runde Isolinien zu sehen. Er bekommt die Daten wie alle anderen professionellen Nutzer jeweils um 00 und 12 Uhr UTC (Weltzeit). Oberndörfer und seine Kollegen erstellen daraus Wettervorhersagen in Form von Zahlenwerten für die Flugstrecken. „Der Pilot weiß dann beispielsweise, dass es, wie heute, eine Sicht von 50 Kilometern und zwei Achtel Cumulus-Wolken hat“, erklärt Oberndörfer. Das bedeutet, nur zwei Achtel des Himmels sind von Wolken bedeckt. „Bei Regen kann die Sicht schon mal unter drei Kilometer sein.“
Jeden Morgen kommen die Soldaten in einem schmucklosen Raum zu einem morgendlichen Briefing zusammen. Die gesamte Anlage ist ein eigener Kosmos, hauptsächlich Männer und einige Frauen leisten hier Dienst. Auch bei 30 Grad sieht man die Soldaten mit schweren Stiefeln im Büro sitzen. Der Ton ist nicht rau, sondern freundlich, und die meisten haben Zeit für ein nettes Gespräch. Beim Morgenbriefing ist die Atmosphäre allerdings sachlich und bestimmt. Alle für den Flugbetrieb relevanten Abteilungen besprechen dabei auf Englisch Einsätze, Zeiten und Ziele des Tages – als erstes aber immer das Wetter.
Denn die Sicht entscheidet. Ein Pilot kann nach Instrumentenregeln fliegen, umgangssprachlich Blindflug. Jede Bewegung, jedes Detail von Start und Landung werden dann von den Fluglotsen des Towers koordiniert. Auch für die Lotsen sind deshalb die Informationen von Oberndörfer beim Morgenbriefing die Grundlage. Ist die Sicht schlecht, sind die Piloten während des gesamten Flugs voll auf ihre Geräte angewiesen. Ob sie den Flug antreten oder nicht, liegt im Ermessen der Piloten. Je höher der Ausbildungsgrad, desto schwieriger können die Wetterbedingungen sein – am Ende kommt es auf die eigene Einschätzung an. Die Piloten holen sich diese essentiellen Informationen auch während eines Einsatzes immer wieder neu über Funk. Zur Not muss ein Einsatz abgebrochen werden.
Seit 1961 gibt es den Heeresflugplatz des Transporthubschrauberregiments 30 in Niederstetten. Die Anlagen verströmen deutlich den Charme vergangener Tage. Im Frühjahr 2017 soll ein neues modernes Gebäude bezogen werden. Auf dem Flugplatz stehen Übungsflüge, alpine Einsätze, Material- und Personentransport sowie Such- und Rettungseinsätze im Vordergrund. Außerdem müssen im Ernstfall blitzschnell Personal und Helikopter bereit gestellt und vorbereitet sein, damit sie zum etwaigen Einsatzort gebracht werden können.
Oberndörfer ist in Niederstetten einer von 14 Mitarbeitern im Wetterteam. Neben der Beratung der Piloten gehört zu den Aufgaben der Abteilung die Wetterbeobachtung mit eigenen Messgeräten für Temperatur, Niederschlag, Wind, Sonnenscheindauer, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck in einem sogenannten Wettergarten. Direkt auf dem Flugfeld steht zudem ein rund zwei Meter hoher Apparat zur Ermittlung der aktuellen Sichtweite. Die Daten der Geräte laufen automatisch im Büro des Teams zusammen. Dort ist rund um die Uhr jemand im Dienst. Halbstündig erfassen die Experten das Wetter im Detail und steigen dazu auch auf eine weitläufige Dachterrasse hoch.
So wird beispielsweise die Weitsicht gemessen: Etwa 12 Kilometer entfernt stehen Windräder – sind sie noch zu sehen? Dann werden die Wolken im Himmel analysiert. Heute geht das alles ganz einfach; es sind gerade mal zwei Wolken zu sehen. Die Mitarbeiter notieren die Werte in Listen. Die gesamten Werte werden aus Niederstetten auch an den Deutschen Wetterdienst weitergegen. Regelmäßig müssen die Messgeräte gewartet werden.
Insgesamt gibt es in Deutschland 18 Flugplätze der Bundeswehr. „Sieben bis acht gehören dem Heer an, die anderen der Luftwaffe und der Marine“, erläutert Oberndörfer. Überall arbeiten auch Wetterexperten. Die Luftwaffe hat eine zentrale Wetterberatungsstelle in Münster.
Bei Auslandseinsätzen läuft die Arbeit der Meteorologen im Prinzip genauso ab wie in Niederstetten. Die Wetterdaten des Militärs werden weltweit in internationale Wettermessungen eingespeist und genutzt. Die Lebensbedingungen der Meteorologen variieren stark von Ort zu Ort. Oberndörfer war in den 90er Jahren drei Monate in Kroatien und zwei im Kosovo. Anders als aktuell in Afghanistan, wo die Meteorologen gemeinsam mit den Soldaten im Camp leben, war er in Kroatien in einer Ferienwohnung untergebracht. „Das war natürlich Luxus, da konnte ich abends zumindest mal rausgehen.“ Im Kosovo nahm er an Wettererkundungsflügen teil, um bessere Auskünfte zur Vorhersage geben zu können.
Heute kommt das nur noch selten vor. „Das sind dann immer richtige Highlights“, berichtet Oberndörfer mit funkelnden Augen. In Niederstetten hat er einen verantwortungsvollen Job – Szenen wie aus Militärfilmen à la „Top Gun“ spielen sich hier allerdings nicht ab. Oberndörfer ist als Wissenschaftler bei der Bundeswehr Zivilist und kann deshalb auch nicht einfach zu Auslandseinsätzen eingezogen werden. Als alleinerziehender Vater würde Oberndörfer derzeit auch nicht weg wollen. „Vielleicht wenn die Tochter mal aus dem Haus ist“.